Dienstag, Juni 19, 2007

Mit Hoffnung


It’s time to say goodbye, fast jedenfalls. Wir schreiben heute den 19. Juni 2007, ein schöner Tag ist es, mit Ferienvorgefühlen, Eis in der Sonne und dicken Mückenstichen als Sommerbeweise. Es ist auch der Tag zehn Nächte vor dem Abflugsdatum.
Mein Zimmer zeigt noch kaum Anzeichen für einen Auf- und Abbruch, eine große Reisetasche steht zwar in der Mitte aber sonst ist fast alles wie immer. All die Postkarten hängen noch an der Wand, Bücher stehen im Regal, Klamotten warten darauf in den Schrank einsortiert zu werden.
Es gibt einen Gegenstand, der die kommende Reise und Veränderung wohl am besten symbolisiert: Hier auf meinem Schoss in meinem weichen Bett steht mein Laptop, um etliche Gigabyte erleichtert und darauf wartend morgen pünktlich um halb neun in der Schule abgeliefert zu werden. Er wird in den Kreis der etlichen Schul-Pcs eingehen, Nummer 748, 10 Monate Hauptkommunikationsmittel nach Hause.
Zwar gibt es hier noch einen stationären PC im Büro gleich hier auf der Etage, und den werde ich auch sicher noch das ein oder andere Mal benutzen, aber dies wird wohl doch mein letzter Eintrag sein.
Wow, schon das zu schreiben ist komisch. So um die 50 Einträge habe ich hier in Norwegen verfasst, und sicher doppelt so viele Kommentare bekommen. Dafür an dieser Stelle ein Danke, sie waren ein schöner Beweis dafür dass an mich im Norden aus dem Süden manchmal Gedanken kommen. Und Ermutigung immer fleißig weiter zuschreiben.
Ein großes Danke muss wohl sowieso an viele Menschen gehen, was wurde ich unterstützt! Für all die finanziellen Stützen von Omas und anderen lieben Menschen habe ich mich hoffentlich schon artig und schnell bedankt, aber was wäre ich wohl ohne die anderen Geschenke gewesen? Wenn ich euch beschreiben könnte, was für eine Freude es machen kann den grünen Briefkasten zu öffnen und zwischen den Zeitungen einen Brief zu finden, wie gut es tut eine voll gekritzelte, öfter sogar unglaublich kreativ selbstgebastelte Postkarte zu erhalten, oder wie toll auch eine einfache Email sein kann, dann wäre ich wohl fähig mit Worten große Gefühle einzufangen.
Danke.

Wen ich auf die letzten zehn Monate zurück schaue, dann sehe ich aber auch Dinge mit denen mir keiner helfen konnte. Manche davon habe ich stolz alleine bewältigt, bei anderen musste ich einsehen dass es mehr bedarf als das was ich aufbringen konnte. Sei es Kraft, sei es Mut oder sei es Engagement.
Ich will ja nicht kitschig werden, aber ich hoffe wirklich dass mich jede einzelne dieser Klippen hat wachsen lassen, mir etwas mitgegeben hat.

Dieser letzte Bericht soll nicht mit Wehmut und Traurigkeit, sondern ebenso wie die ersten mit Hoffnung geschrieben sein. Mit der Hoffnung, dass ich es schaffe all die guten Dinge mitzunehmen, Gedanken, Gefühle, Traditionen, Erinnerungen und so vieles mehr. Ich hoffe auch darauf dass meine neuen Freundschaften halten dass alte Freundschaften an der langen Trennung nicht gelitten haben.
Ich will nicht, dass alles ist wie vorher – wo wäre dann der Sinn der Sache?
Hoffnung ist immer auch ein wenig Angst – Hoffnung bedeutet schließlich dass man sich einen bestimmten Weitergang eines Weges wünscht, aber nicht sicher ist dass der Weg diesen Verlauf nimmt sondern anders gehen könnte. Meine Ängste sind meistens wenig, aber es gibt sie wohl.
Ach, genug davon.
Alles ein wenig tullprat, würde man hier sagen. Auch auf die Gefahr hin euch zu langweilen mit alten Wiederholungen oder einfallslos zu wirken, muss hier noch einmal Hesse seine oft zitierten Worte leihen:

Stufen

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und
jede Tugend

zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.


Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.


Wir sollen heiter Raum um Raum
durchschreiten,

an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und
engen,

er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!


Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Hermann Hesse)


Heute habe ich mich von dem ersten Menschen verabschiedet, Henrikke aus meiner Klasse war mit mir in Oslo Eis essen. Sie ist nämlich jetzt mit der Schule fertig und ich werde sie wohl nicht mehr sehen.
Was für ein komisches, unwirkliches Gefühl. All die Dinge, die auf meiner „To-do-Liste“ standen werden nach Möglichkeit abgehakt, endlich habe ich heute Abend zum Beispiel mal eine Carbonara gekocht.
Freitag hört die Schule auf, am Wochenende ist St. Hans, also Mittsommer, und Andrea wird sich verabschieden und aufs Hovefestival fahren. Ida kommt nach ein paar Monaten aus Spanien zurück, andere Leute bereiten sich in Höchsttempo auf Austauschjahre in den USA oder auch in Mexico vor.
Am Wochenende haben wir mit YFU Norwegen abgeschlossen, das nächste Mal treffen wir uns am Flughafen Oslo Gardermoen. In 10 Tagen.

Seltsam.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Ein letztes Danke, macht es gut und auf ein baldiges Wiedersehen.
Ich hoffe fest auf neue Abenteuer, die sich lohnen in einem neuen Blog weitergeführt zu werden.

Kuss,
Isabel Iracema

Sonntag, Juni 10, 2007

Reiseeindrücke


Ich bin müde und im Kopf hängen Bilder vom Film "Hotel Ruanda", deshalb gibt es heute Tagebuch-Ausschnitte. Ich hoffe, ihr fühlt euch nicht beleidigt, sonder geehrt. :)

8. Juni 2007


Angekommen.
"Aus dem Walkman tönt es grell, dem Nachbarn schmerzt das Trommelfell" - den Sinn dieses Spruches scheint Andrea noch nicht verstanden zu haben, aber es ist auch egal. In starker Hitze sind wir auf dem Weg zurück von Hillerød nach Kopenhagen. Seit ca. 10 Stunden befinden wir uns in diesem Teil Dänemarks, sind erschöpft, voll mit ersten Eindrücken und immer noch hungrig auf mehr. Hans-Christian-Andersen Eventyrhuset steht auf der Liste, genau wie der Tivloli und, ganz wichtig, einchecken in der Jugenherberge.
Die Hoffnung auf eine Dusche kann man uns nach 8 Stunden Bus höchstwahrscheinlich anriechen. Andrea hat auf der Fahrt kaum geschlafen - ich fühle mich auch erschöpft und trotzdem wunderbar.

Viajar por viajar

sagt Che Guevara in der Atacamawüste. Kopenhagen ist mein Anfang. Und wunderschön, obwohl ich mir sicher bin dass sich die wirklich tollen Seiten, Viertel, Ecken uns noch nicht gezeigt haben.

(...)

Stygge, stygge Tivoli!
2000 Touristen zu viel, im Anhang der blödere Teil Kopenhagens. Ausserdem unverschämt hohe Preise: Das hat uns in den Teil getrieben, der uns beweist dass kluge Kopenhagener ihre Zeit nicht im Tivoli verplempern. Eine stumme Zeit ist es für uns, mit dem Lückenfüller Musik ist jeder in seiner eigenen Welt, seiner eigenen Sprache. Murmelnd haben sich die Anderen i Wolldecken eingewickelt. Der perfekte Hintergrund für die kleine Großstadt-Idylle. Lichter leuchten, der Ipod lässt uns flinke Finger auf schönem Klavier sehen.
Ich habe, peinlich quietschend und kreischend, den ersten starken Mückenangriff überlebt und nur drei haben es geschafft mich mit meinen erschrocken aufgerissenen Augen als Hintergrundkulisse zu stechen.




Ist das hier Kunst? Schreiben, Musik hören, Fotos machen? Kunst in sich selbst, die Kunst des guten Lebens?


9. Juni 2007


Ausgeschlafen, gesättigt, geduscht und mit gewaschenen und trotzdem komischen Haaren sitze ich in der Absalonsgade. Die Großstadt hat ihre Haupt-Pulsader gleich nebenan, laut und trotzdem nicht störend rauscht ein Gefährt nach dem Anderen vorbei.

(…)

Christiania.
Bunt, laut, grün, leise, fremd, offen, eingeschlossen, einladend und abweisend. Sicher gibt es Worte nicht genug um zu beschreiben wie diese Insel in Kopenhagen wirken kann. Wunderliche Gestalten treiben sich hier herum, hinter uns eine Frau, die zu dick ist um selbst zu gehen, nur in einen blauen Sarong gewickelt. Und Hunde, unzählbar viele Rottweiler, die einen langen Schwanz haben dürfen. Keinen einzigen habe ich gesehen, der aggressiv gebissen hätte.
Wir sitzen am Wasser, im Kinderteil, und ich zumindest geniesse das stille Sitzen, Schreiben und Nichts-Tun. Ferien, så klart, das hier ist ein besonderes Wochenende.
20 Kronen, that’s all I got. Da müssen noch Abendessen und alles drin sein. Ein bisschen nervt es, geldlos zu sein, und ein bisschen ist es ein gutes Gefühl: So soll das sein! So soll das sein?
In Christiania sind die Menschen auch nicht reich, jedenfalls zeigen sie es nicht, soviel steht fest.
Künstler & Lebenskünstler, vermutlich.

henrik schütze
heißt ein Künstler, der uns sein Haus geöffnet hat. Es ist åbent-hus-dag, Tag der offenen Tür, und die Häuser wirklich beeindruckend. Oh!, ich habe riesige Lust einmal in Christiania zu wohnen! Meine Füße sind tot, der eine verletzt, aber ich kann vermutlich behaupten den schönsten Teil Kopenhagens gesehen zu habem.

Eine alte Continental-Fotokamera, „Focus Free“, das ist mein neustes Tauschgeschäft. Mein geliebter, aber hoffentlich ersetzbarer „Stoppt Giftmüll im Oslofjord“-Anstecker gegen eine alte, blitzende und hoffentlich funktionierende Fotokamera.
FROH, FROH, FROH!

10. Juni 2007


Wir sind in Malmö, haben den Bus nach einer schnellen Barfusstour von der der Jugendherberge in der Absalonsgade zum DGI-Haus doch noch bekommen. Irgendwie hatten wir meinen Wecker nicht gehört, deshalb habe ich chaotische Haare, ungeputzte Zähne und gerade erst einen Bolle gefrühstückt.

Gestern abend war noch ziemlich gut, eigentlich. Als wir vor der Jugendherberge sassen kam ein Nudel-und-Tomatensausse-essender Amerikaner, Andrew aus Texas, und war ziemlich nett. Wir sind auf in die Stadt, haben Citybikes gesucht und nur einen 7/11 gefunden, wo uns pleiten Menschen ein zweites Bier ausgegeben wurde.

(…)

Eigentlich geniesse ich es jetzt auch lange zu fahren, ein Stückchen Schweden zu sehen, Erlebtes zu reflektieren und aufzuschreiben.

(…)

Ich kann’s! Ohne Erwachsene oder große Gruppen reisen, pleite in einer fremden Stadt sein und trotzdem an Bier kommen, in Jugendherbergen mit seltsamen Leuten schlafen. Das habe ich fast vergessen: Der Schlafsaal. 150 oder mehr Betten mit Speerholz (oder noch dünnerem, billigerem Material, als Minitrennwand zwischen den laut quietschenden Matratzen, de jede Bewegung verrieten. Es war warm, Leute haben gestöhnt und geshcnarcht, man konnte kommen und gehen wann man wollte und trotzdem habe ich wie ein Stein geschlafen. Gut, wie selten. Vielleicht kam da das Hordentier in uns hoch?

Die Landschaft hier erinnert übrigens mehr als Deutschland als ich es in Norwegen jemals finden könnte: Große, gerade Felder mit grünem Weizen, lange Strecken ohne Wald, Reihenhäuser und sogar eine Windmühle. Aber genau das ist es was Norwegen schöner macht: Seltsam geformte Felder mit Felsinseln in der Mitte, urige alte Holzhäuser und der viele Wald, bzw. die richtige Ödnis auf den Fjells.

(…)

Ein weiteres Mal verlasse ich Göteborg, mit Papphühnchen und Pappbaguette plus Gentomaten im Magen, runtergespült mit Instant-tee. Geschlafen habe ich auch ein ganzes Stück, Gøteborg macht also das Leben schöner. Muligens.

(….)
Dänemark, Schweden, Norwegen, ich bin jetzt durch das Herz Skandinaviens gereist und war in einigen der wichtigsten Städte. Eine davon nenne ich mein Zuhause, noch 19 Tage.

Donnerstag, Mai 31, 2007

Sich schliessende Kreise

Es ist der 31. Mai, damit wird dies wohl der letzte Bericht in diesem Monat. Der erste Kreis schliesst sich: Seit zwölf Monaten schon existiert dieser Blog und wird mit Worten gefüllt. Allzu viel Lebenszeit gebe ich ihm nicht mehr.
Denn es ist zwar der erste, aber nicht der einzige Kreis der sich beginnt zu schliessen. Meine Wochenenden sind gefüllt mit Gegenbesuchen, von Menschen die mich irgendwann in den letzten neuneinhalb Monaten zu sich eingeladen haben. Hier zieht Geschäftigkeit ein, so viele Dinge die noch getan werden wollen. Eigentlich scheint die Abreise noch so fern, aber nach dem nächsten Wochenende gibt es nur noch zwei weitere, richtige. Wichtig ist aber genau das um den 8. Juni. Denn da wird das wohl grösste Abschiedsprojekt der nächsten Zeit durch geführt: Es geht auf nach Kopenhagen. Ich hatte schon länger Lust auf eine Reise im Juni, und nach einigem Hin und Her entschied sich Andrea bei einem Abendessen spontan mit zu kommen. Plötzlich war das Ganze zwar nicht mehr so mein Projekt wie ich es mir vorgestellt hatte, aber trotzdem nicht schlecht. Denn wir beiden machen so eine gemeinsame Tour, als Abschiedsgeschenk von meinen Gasteltern. Los geht es heute in einer Woche am Abend, um dann mit dem Bus morgens um kurz vor sieben in Dänemarks Hauptstadt anzukommen. Mit einer Jugendherberge 500m vom Tivoli entfernt als Basis werden wir dann so viel Stadt wie möglich in uns rein stopfen.
Aber davon dann mehr.

Schule am Freitag mal (wieder) auszulassen ist übrigens kein Problem. Denn in Norwegen (nein, schulisch ist es doch nicht das gelobte Land) gibt es ab Mai nichts mehr zu tun. Ein, zwei Examen, zu denen nicht alle gezogen werden und ansonsten Lesetage, Geografitage, Exkursionen und freie Tage. Meine Gastmutter erzählte dass alle Studenten an den Hochschulen im ersten Semester einen Schock kriegen, dass man auch im Juni noch normalen Unterricht haben kann.
Mich soll's freuen!

Ach Mensch, ihr merkt schon, meine Einträge sind ein wenig oberflächlicher, weniger bedacht und wohl auch langweiliger geworden. Aber irgendwie ist es genauso: Im Winter ist es dunkel, man ist drinnen und denkt viel nach. Jetzt ist es Frühling und zwar 10 Grad zu kalt, aber äusserst hell und macht irgendwie nicht mehr so nachdenklich. Ausserdem lebt man unbeschwerter, die Welt scheint sich rasend schnell zu drehen und ja.
Ein bisschen ist es auch so, dass das was mich im Moment beschäftigt, zum Beispiel die Ängste, die ich wegen dem Verlassen/Zurückkommen habe vielleicht nicht unbedingt in einen Blog gehören. Ach, ich weiss nicht.

Ich hoffe ihr lest trotzdem noch ein wenig mit, in 4 Wochen ist (fast) alles vorbei und ein neuer Abschnitt fängt an.

Wunderbare Grüsse,
Isabel Iracema

Freitag, Mai 18, 2007

Von gestern...


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Will ich, mag ich, muss ich euch berichten. Gestern, das war nicht irgendein Tag, nein, gestern war 17. Mai. "Na und?", mag ein einfacher Deutsche denken. "Nationalfeiertag", weiss, schon etwas gebildeter, ein Norwegenfan. Die Gedanken der Norweger mögen uns noch eine Weile verschlossen bleiben, aber mit dem 17. Mai werden sicher "Flagge, Umzug, Hipp-Hipp-Hurra, König, Musikkorps, Würstchen, Eis, Bunad" und unzählbar viele andere Dinge auf norwegisch assoziiert. Oh, what a day! Keine Schule - das ist wohl die einzige Sache, die der Tag der deutschein Einheit und der Tag der norwegischen Verfassung in Eidsvoll 1814 gemeinsam haben. Und der Grund, warum ich gestern erst einmal für einen Donnerstag ungewöhnlich lange geschlafen habe. Aber kurz nach neun musste ich dann auch aus den Federn, und der Tag wurde mit einem Frühstück, das eigentlich einem Sonntag gebührt, eröffnet. Ich unerfahrene 17.-Mai-Anfängerin kam in relativ gewöhnlichen Klamotten, aber nachdem ich erschrocken gefragt wurde, ob ich so in die Stadt wollte, zwängte ich mich wohl oder übel in einen Rock.
Pünktlich 5 vor elf statteten ich und Andrea uns mit kleinen Fahnen aus um uns an der Bootsbrücke mit Ingrid und Silje zu treffen. Trotz meines Rockes war ich wohl die graueste aller Mäuse unter all den Frauen! Denn die meisten, inklusive Silje, hatten ihre Bunad herausgesucht und angelegt. Eine Bunad, das ist die Nationaltracht der Norweger. Ganz oben, auf dem ersten Bild seht ihr einen Mann, aber sie/es ist doch verbreiteter unter den Frauen. Hier ein Bild:


Das Design ist von verschiedenen Dingen abhängig: Herkunft, Familie - und man hat mir versichert, auch der Geschmack darf mal eine Rolle spielen. Die Bunad wird übrigens nicht nur am 17. Mai angezogen, sondern auch bei Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten, Beerdigungen etc. Obwohl es auch hier wieder von der Person abhängt. Aber auch wenn ihr nicht im Mai nach Norwegen kommt habt ihr eine gute Chance im Bus, der Bahn, aber vor allem in Kirchen der ein oder anderen Person im Festkleid zu begegnen. Verwechseln solltet ihr die Bunad übrigens nicht mit der Tracht der Samen, die man sicher öfter in Medien sieht.

In Oslo angekommen machten wir uns durch die dichten Menschenmengen auf in Richtung Schloss. In diesem so spärlich besiedelten Land ist selbst in der Hauptstadt Gedränge ein eher unbekannter Begriff und so fand ich es ungewohnt und auch ein bisschen unangenehm zwischen all diesen schicken Menschen eingedrückt zu werden (auch hier muss man wissen das eingedrückt in Oslo anders aufzufassen ist als eingedrückt in Köln). Irgendwann hatten wir uns aber in die Nähe des Schlosses und damit zum Umzug durchgekämpft. Alle Schulen Oslos ziehen hier stolz mit Flaggen und eventuellem Orchster (Korps) die Prachtallee zum Schloss entlang um diesen Menschen hier zuzuwinken. Oder sich von ihnen zuzuwinken lassen:
Von rechts nach links: Ingrid Alexander, nach ihrem Opa die dritte, die Anspruch auf den Thron hat, daneben der Zylinder ihres Vaters, Kronprinz Haakon, elegant in weiss winkend Mette-Marit und Dronningen & Kongen, Königin und König, Silvia und Harald. Ich hoffe doch wirklich, dass ihr euch fragt wie ich ein so nahes Bild schiessen konnte! Vergrössert man das (draufklicken!), kann man nämlich sogar Gesichtszüge erahnen - und das ist für das gewöhnliche Publikum des Zuges nicht möglich. Für Zugereiste gibt es zwar extra Karten für die besten Plätze direkt da unter dem Balkon, aber die musste man bis zum 10. Mai bestellen - habe ich natürlich nicht geschafft. Aber: Nicht nur ich kannte Menschen am Katta, der Osloer Kathedralsschule, nein auch Ingrid hatte da eine Freundin - und die Idee uns da unterzumischen, direkt vor dem Schloss. Da der Zug aber unglaublich langsam war, mussten wir sicher eine Stunde auf den Teil warten. Wir hatten uns ein paar Sitzplätze auf dem Asphalt innerhalb der Absperrungen ergattert und sassen da, um fröhlich fast allen Menschen ein enthusiastisches "Hipp Hipp?" entgegen zu schleudern. Nicht alle waren reaktionsschnell, aber wir bekamen doch einige "Hurra!"s zu hören. Hier ist ein nicht allzu guter Blick auf die mit Flaggen überfluteten Karl-Johans-Gate:
Mit Beweis für das wunderbare Wetter! Es war wirklich unglaublich: unglaublich voll, unglaublich rot-blau-weiss, unglaublich fröhlich und unglaublich beeindruckend. Im Radio hatten sie morgens berichtet, dass sich nach einer Studie Einwanderer am 17. Mai am integriertesten in die norwegische Gesellschaft fühlen. Ob das wahr ist weiss ich nicht, aber ich weiss was mir fast am besten gefiel: die kulturellen Kontraste, die das Fest nur noch bunter und froher machten. Denn 20% der Einwohner Oslos sind Einwanderer - das prägt das Gesicht der Stadt! Und so findet man unter all den Mädchen und Jungen in ihren Bunader auch Kinder mit Sari oder afrikanische Mütter in fantastischen Kostümen bunter Stoffe, mit jenem tollen Hut-Ding. Und Mädchen in Sari sind genauso Fahnenträger der Schulen wie alle anderen.

In rot, blau oder weiss springen die Russ, die norwegischen Abiturienten um her, von denen ich hoffentlich schon mal berichtet habe. Für sie ist der 17. Mai der Abschlusstag ihrer Festzeit - und das nutzen die meisten noch einmal! Da oben seht ihr ein paar Rødruss in freudigem Lauf.

Unseren 17. Mai haben wir mit einem tollen Grillabend bei Karen auf Nesodden abgeschlossen, mit viel Kuchen, Freunden, Fotos (oh, ich träume doch stark von einer digitalen Spiegelreflexkamera), Würstchen, Musik und Sommer. Bis es dunkel wurde konnten wir tatsächlich auf Decken in der Wiese liegen und glücklich sein.

Hipp Hipp Hurra, macht es gut!

Kuss und Klem,

Isabel Iracema

Sonntag, Mai 13, 2007

Liebeserklärung

Oh ja, lieben tu ich diese Stadt! Ich kann mich noch so sehr auf Köln freuen, aber in den Strassen Oslos zu sitzen und mir vorzustellen dort nicht mehr zuhause zu sein ist traurig! Eine meiner Lieblingsbahnhaltestellen ist Torshov. Auf der Bank sass einmal einer der zahllosen Obdachlosen, die Oslo so viel besser kennen. Ein bisschen blöde hab ich mich nach einem Blick ein Stückchen weiter hingestellt, denn irgendwie hält man doch Abstand. Er dachte wohl er selbst wäre unfreundlich, rückte beiseite und bot mir den Platz an. Gesetzt habe ich mich nicht, aber innerlich beschimpft, dass ich mit solchen Gewohnheiten durch die Welt spaziere, und ihn angelächelt. Er schlief fast ein, erklärte mir aber fröhlich warum er die letzten drei Tage keinen Platz für tiefen Schlaf gefunden habe und war ganz ungemein nett.
Als er zum Schluss aus der Bahn ausstieg, wünschte ich ihm eine gute Nacht, jaja. Und als ich letztens wieder in diesem tollen Viertel namens Torshov war, da stand er da, verkaufte die Zeitung der Obdachlosen und strahlte mir ein norwegisches "Hei!" entgegen.
Und gestern, da war ich wieder in der Stadt und begegnete ihm, am Stortorvet, der neuen Ersatzhaltestelle mitten im Zentrum. Es ist schön, diesen Menschen "zu kennen", denn was ist schon mehr Oslo als die Menschen, die der Stadt näher sind als jeder andere?

Ich liebe diese Stadt auch in anderen Momenten. Wenn ich entdecke, dass meine beste Oslo-Freundin Sini fast direkt bei dem Park wohnt, von dem ich ihr so begeistert erzählt habe und in dem wir unbedingt zusammen den Sommer geniessen wollen. Mit Bier und Musik und Menschen drumherum und allem. Oder wenn die Stadt eine Schiele-Ausstellung beherbergt, die nur nach Entdecken ruft.
Heute hat sie mich mit einem Flohmarkt beschenkt. Ich kam gerade von meinem Stepptanzauftritt als ich beim Halten an einer Station aus dem Augenwinkel einen Markt wahrnahm. Ich sprang aus der Bahn und es war tatsächlich eine feine Ansammlung verschiedenster Verkäufer und Menschen, die Munter auf Norwegisch, Englisch, Russisch und anderen Sprachen plapperten. Gleich am Anfang begegnete mir ein kleines Mädchen, dass sich auf eine Karierre als Verkäuferin vorbereitete. Mit den Preisen sollte sie noch etwas üben, sie bat mir neun Ohrringe für neun Kronen an, aber los wurde sie ihre Sachen. Ich bezahlte ihr ein bisschen mehr und sie erkannte die Kundin in mir - schwuppdiwupps hatte ich auch noch eine seltsame Dose und eine schöne Brosche in der Hand und mein Budget um weitere 10 Kronen erleichtert. Es fanden sich auch andere grosszügige Menschen, so dass ich mit 50 Kronen 10 Ohrringe, 2 Broschen und eine superlustige Kette in Form einer silbernen Minhandtasche glücklich nach Hause kam.
Die norwegische Nationalhymne beginnt mit diesen Worten: "Ja, vi elsker dette landet" - "Ja, wir lieben dieses Land". Ich glaube, ein bisschen von der Liebe der Norweger zu diesem Stückchen Erde habe ich wirklich geschenkt bekommen!

Irgendwo las ich, dass es noch 7 Wochen sind. Ich habe gehört, dass ich unbedingt nach Hause will. Von Brühl durch Spanien kam das an meine Ohren. Jaja, das fande ich ein wenig uhyggelig. Liebe Menschen, schön das ihr euch Gedanken über mich macht. Aber als mir das heute geschrieben wurde, hat mir das einen Schreck versetzt: Wirke ich so? Oder ist das vielleicht so? Eigentlich: Nein. Ich will nicht nach Hause, nicht jetzt. Kein einziges Mal in diesem Jahr habe ich gedacht "Ich will jetzt nicht hier sein." "Das Gefühl der Freude entsteht aus einer plötzlichen Bejahung des Lebens", mit dieser Einstellung bin ich bis hierhin gelaufen und die habe ich auch nicht verloren. Genau dies ist es, was ich will. Ich will noch 7 Wochen haben, hier. Ich will dann bald wieder da sein. Ich will das Leben wie es ist, genauso, jetzt und hier und dann und dort.
Aber man kommt wohl irgendwie nicht drum herum an das Ende zu denken. Und traurig bin ich noch wenig. Denn die Dinge sollten nicht mit Trauer enden, sondern mit Hoffnung. Auf ein Wiedersehen und auf Neues.
Aber naja, soweit sind wir ja noch nicht.

Jetzt hoffe ich einfach mal, dass hier noch mehr lesen als diejenigen die Kommentare schreiben. :)
Lebt wohl, ihr Lieben, bis zum nächsten Mal.

Isabel Iracema