Dienstag, Juni 19, 2007

Mit Hoffnung


It’s time to say goodbye, fast jedenfalls. Wir schreiben heute den 19. Juni 2007, ein schöner Tag ist es, mit Ferienvorgefühlen, Eis in der Sonne und dicken Mückenstichen als Sommerbeweise. Es ist auch der Tag zehn Nächte vor dem Abflugsdatum.
Mein Zimmer zeigt noch kaum Anzeichen für einen Auf- und Abbruch, eine große Reisetasche steht zwar in der Mitte aber sonst ist fast alles wie immer. All die Postkarten hängen noch an der Wand, Bücher stehen im Regal, Klamotten warten darauf in den Schrank einsortiert zu werden.
Es gibt einen Gegenstand, der die kommende Reise und Veränderung wohl am besten symbolisiert: Hier auf meinem Schoss in meinem weichen Bett steht mein Laptop, um etliche Gigabyte erleichtert und darauf wartend morgen pünktlich um halb neun in der Schule abgeliefert zu werden. Er wird in den Kreis der etlichen Schul-Pcs eingehen, Nummer 748, 10 Monate Hauptkommunikationsmittel nach Hause.
Zwar gibt es hier noch einen stationären PC im Büro gleich hier auf der Etage, und den werde ich auch sicher noch das ein oder andere Mal benutzen, aber dies wird wohl doch mein letzter Eintrag sein.
Wow, schon das zu schreiben ist komisch. So um die 50 Einträge habe ich hier in Norwegen verfasst, und sicher doppelt so viele Kommentare bekommen. Dafür an dieser Stelle ein Danke, sie waren ein schöner Beweis dafür dass an mich im Norden aus dem Süden manchmal Gedanken kommen. Und Ermutigung immer fleißig weiter zuschreiben.
Ein großes Danke muss wohl sowieso an viele Menschen gehen, was wurde ich unterstützt! Für all die finanziellen Stützen von Omas und anderen lieben Menschen habe ich mich hoffentlich schon artig und schnell bedankt, aber was wäre ich wohl ohne die anderen Geschenke gewesen? Wenn ich euch beschreiben könnte, was für eine Freude es machen kann den grünen Briefkasten zu öffnen und zwischen den Zeitungen einen Brief zu finden, wie gut es tut eine voll gekritzelte, öfter sogar unglaublich kreativ selbstgebastelte Postkarte zu erhalten, oder wie toll auch eine einfache Email sein kann, dann wäre ich wohl fähig mit Worten große Gefühle einzufangen.
Danke.

Wen ich auf die letzten zehn Monate zurück schaue, dann sehe ich aber auch Dinge mit denen mir keiner helfen konnte. Manche davon habe ich stolz alleine bewältigt, bei anderen musste ich einsehen dass es mehr bedarf als das was ich aufbringen konnte. Sei es Kraft, sei es Mut oder sei es Engagement.
Ich will ja nicht kitschig werden, aber ich hoffe wirklich dass mich jede einzelne dieser Klippen hat wachsen lassen, mir etwas mitgegeben hat.

Dieser letzte Bericht soll nicht mit Wehmut und Traurigkeit, sondern ebenso wie die ersten mit Hoffnung geschrieben sein. Mit der Hoffnung, dass ich es schaffe all die guten Dinge mitzunehmen, Gedanken, Gefühle, Traditionen, Erinnerungen und so vieles mehr. Ich hoffe auch darauf dass meine neuen Freundschaften halten dass alte Freundschaften an der langen Trennung nicht gelitten haben.
Ich will nicht, dass alles ist wie vorher – wo wäre dann der Sinn der Sache?
Hoffnung ist immer auch ein wenig Angst – Hoffnung bedeutet schließlich dass man sich einen bestimmten Weitergang eines Weges wünscht, aber nicht sicher ist dass der Weg diesen Verlauf nimmt sondern anders gehen könnte. Meine Ängste sind meistens wenig, aber es gibt sie wohl.
Ach, genug davon.
Alles ein wenig tullprat, würde man hier sagen. Auch auf die Gefahr hin euch zu langweilen mit alten Wiederholungen oder einfallslos zu wirken, muss hier noch einmal Hesse seine oft zitierten Worte leihen:

Stufen

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und
jede Tugend

zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.


Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.


Wir sollen heiter Raum um Raum
durchschreiten,

an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und
engen,

er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!


Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Hermann Hesse)


Heute habe ich mich von dem ersten Menschen verabschiedet, Henrikke aus meiner Klasse war mit mir in Oslo Eis essen. Sie ist nämlich jetzt mit der Schule fertig und ich werde sie wohl nicht mehr sehen.
Was für ein komisches, unwirkliches Gefühl. All die Dinge, die auf meiner „To-do-Liste“ standen werden nach Möglichkeit abgehakt, endlich habe ich heute Abend zum Beispiel mal eine Carbonara gekocht.
Freitag hört die Schule auf, am Wochenende ist St. Hans, also Mittsommer, und Andrea wird sich verabschieden und aufs Hovefestival fahren. Ida kommt nach ein paar Monaten aus Spanien zurück, andere Leute bereiten sich in Höchsttempo auf Austauschjahre in den USA oder auch in Mexico vor.
Am Wochenende haben wir mit YFU Norwegen abgeschlossen, das nächste Mal treffen wir uns am Flughafen Oslo Gardermoen. In 10 Tagen.

Seltsam.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Ein letztes Danke, macht es gut und auf ein baldiges Wiedersehen.
Ich hoffe fest auf neue Abenteuer, die sich lohnen in einem neuen Blog weitergeführt zu werden.

Kuss,
Isabel Iracema

Sonntag, Juni 10, 2007

Reiseeindrücke


Ich bin müde und im Kopf hängen Bilder vom Film "Hotel Ruanda", deshalb gibt es heute Tagebuch-Ausschnitte. Ich hoffe, ihr fühlt euch nicht beleidigt, sonder geehrt. :)

8. Juni 2007


Angekommen.
"Aus dem Walkman tönt es grell, dem Nachbarn schmerzt das Trommelfell" - den Sinn dieses Spruches scheint Andrea noch nicht verstanden zu haben, aber es ist auch egal. In starker Hitze sind wir auf dem Weg zurück von Hillerød nach Kopenhagen. Seit ca. 10 Stunden befinden wir uns in diesem Teil Dänemarks, sind erschöpft, voll mit ersten Eindrücken und immer noch hungrig auf mehr. Hans-Christian-Andersen Eventyrhuset steht auf der Liste, genau wie der Tivloli und, ganz wichtig, einchecken in der Jugenherberge.
Die Hoffnung auf eine Dusche kann man uns nach 8 Stunden Bus höchstwahrscheinlich anriechen. Andrea hat auf der Fahrt kaum geschlafen - ich fühle mich auch erschöpft und trotzdem wunderbar.

Viajar por viajar

sagt Che Guevara in der Atacamawüste. Kopenhagen ist mein Anfang. Und wunderschön, obwohl ich mir sicher bin dass sich die wirklich tollen Seiten, Viertel, Ecken uns noch nicht gezeigt haben.

(...)

Stygge, stygge Tivoli!
2000 Touristen zu viel, im Anhang der blödere Teil Kopenhagens. Ausserdem unverschämt hohe Preise: Das hat uns in den Teil getrieben, der uns beweist dass kluge Kopenhagener ihre Zeit nicht im Tivoli verplempern. Eine stumme Zeit ist es für uns, mit dem Lückenfüller Musik ist jeder in seiner eigenen Welt, seiner eigenen Sprache. Murmelnd haben sich die Anderen i Wolldecken eingewickelt. Der perfekte Hintergrund für die kleine Großstadt-Idylle. Lichter leuchten, der Ipod lässt uns flinke Finger auf schönem Klavier sehen.
Ich habe, peinlich quietschend und kreischend, den ersten starken Mückenangriff überlebt und nur drei haben es geschafft mich mit meinen erschrocken aufgerissenen Augen als Hintergrundkulisse zu stechen.




Ist das hier Kunst? Schreiben, Musik hören, Fotos machen? Kunst in sich selbst, die Kunst des guten Lebens?


9. Juni 2007


Ausgeschlafen, gesättigt, geduscht und mit gewaschenen und trotzdem komischen Haaren sitze ich in der Absalonsgade. Die Großstadt hat ihre Haupt-Pulsader gleich nebenan, laut und trotzdem nicht störend rauscht ein Gefährt nach dem Anderen vorbei.

(…)

Christiania.
Bunt, laut, grün, leise, fremd, offen, eingeschlossen, einladend und abweisend. Sicher gibt es Worte nicht genug um zu beschreiben wie diese Insel in Kopenhagen wirken kann. Wunderliche Gestalten treiben sich hier herum, hinter uns eine Frau, die zu dick ist um selbst zu gehen, nur in einen blauen Sarong gewickelt. Und Hunde, unzählbar viele Rottweiler, die einen langen Schwanz haben dürfen. Keinen einzigen habe ich gesehen, der aggressiv gebissen hätte.
Wir sitzen am Wasser, im Kinderteil, und ich zumindest geniesse das stille Sitzen, Schreiben und Nichts-Tun. Ferien, så klart, das hier ist ein besonderes Wochenende.
20 Kronen, that’s all I got. Da müssen noch Abendessen und alles drin sein. Ein bisschen nervt es, geldlos zu sein, und ein bisschen ist es ein gutes Gefühl: So soll das sein! So soll das sein?
In Christiania sind die Menschen auch nicht reich, jedenfalls zeigen sie es nicht, soviel steht fest.
Künstler & Lebenskünstler, vermutlich.

henrik schütze
heißt ein Künstler, der uns sein Haus geöffnet hat. Es ist åbent-hus-dag, Tag der offenen Tür, und die Häuser wirklich beeindruckend. Oh!, ich habe riesige Lust einmal in Christiania zu wohnen! Meine Füße sind tot, der eine verletzt, aber ich kann vermutlich behaupten den schönsten Teil Kopenhagens gesehen zu habem.

Eine alte Continental-Fotokamera, „Focus Free“, das ist mein neustes Tauschgeschäft. Mein geliebter, aber hoffentlich ersetzbarer „Stoppt Giftmüll im Oslofjord“-Anstecker gegen eine alte, blitzende und hoffentlich funktionierende Fotokamera.
FROH, FROH, FROH!

10. Juni 2007


Wir sind in Malmö, haben den Bus nach einer schnellen Barfusstour von der der Jugendherberge in der Absalonsgade zum DGI-Haus doch noch bekommen. Irgendwie hatten wir meinen Wecker nicht gehört, deshalb habe ich chaotische Haare, ungeputzte Zähne und gerade erst einen Bolle gefrühstückt.

Gestern abend war noch ziemlich gut, eigentlich. Als wir vor der Jugendherberge sassen kam ein Nudel-und-Tomatensausse-essender Amerikaner, Andrew aus Texas, und war ziemlich nett. Wir sind auf in die Stadt, haben Citybikes gesucht und nur einen 7/11 gefunden, wo uns pleiten Menschen ein zweites Bier ausgegeben wurde.

(…)

Eigentlich geniesse ich es jetzt auch lange zu fahren, ein Stückchen Schweden zu sehen, Erlebtes zu reflektieren und aufzuschreiben.

(…)

Ich kann’s! Ohne Erwachsene oder große Gruppen reisen, pleite in einer fremden Stadt sein und trotzdem an Bier kommen, in Jugendherbergen mit seltsamen Leuten schlafen. Das habe ich fast vergessen: Der Schlafsaal. 150 oder mehr Betten mit Speerholz (oder noch dünnerem, billigerem Material, als Minitrennwand zwischen den laut quietschenden Matratzen, de jede Bewegung verrieten. Es war warm, Leute haben gestöhnt und geshcnarcht, man konnte kommen und gehen wann man wollte und trotzdem habe ich wie ein Stein geschlafen. Gut, wie selten. Vielleicht kam da das Hordentier in uns hoch?

Die Landschaft hier erinnert übrigens mehr als Deutschland als ich es in Norwegen jemals finden könnte: Große, gerade Felder mit grünem Weizen, lange Strecken ohne Wald, Reihenhäuser und sogar eine Windmühle. Aber genau das ist es was Norwegen schöner macht: Seltsam geformte Felder mit Felsinseln in der Mitte, urige alte Holzhäuser und der viele Wald, bzw. die richtige Ödnis auf den Fjells.

(…)

Ein weiteres Mal verlasse ich Göteborg, mit Papphühnchen und Pappbaguette plus Gentomaten im Magen, runtergespült mit Instant-tee. Geschlafen habe ich auch ein ganzes Stück, Gøteborg macht also das Leben schöner. Muligens.

(….)
Dänemark, Schweden, Norwegen, ich bin jetzt durch das Herz Skandinaviens gereist und war in einigen der wichtigsten Städte. Eine davon nenne ich mein Zuhause, noch 19 Tage.