Mittwoch, Dezember 27, 2006

Weihnachtszeit - Berichtezeit?

Als allererstes gibt es aber wieder mal poetische Auszuege... Und zwar aus einem Lied von Dietrich Bonhoeffer, dessen Refrain mir seit gestern Abend im Kopf rumgeistert:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben,
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Lass warm und hell die Kerze heute flammen,
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der
Nacht.


Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Erst nachdem ich, der Melodie in meinem Kopf nachforschend den Text gefunden habe, bemerkte ich, dass es in der ersten Strophe sogar ein Bezug auf die jetzige Zeit, das Ende eines Jahres gibt.
Gleichzeitig gibt das Lied ganz wunderschoen das Grundvertrauen, die eigentliche Furchtlosigkeit wieder, die mich immer und ueberall umgibt, auch wenn ich hier doch immer wieder an mir selber zweifel. Das wunderschoene, zu Weihnachten bekommene Tagebuch ist schon mit einigen Seiten Gedanken voll...

Aber um mal zum Thema und dem zentralsten Ding dieser Tage zurueck zukommen: Frohe Weihnachten, meine Damen und Herren! Von guten Mæchten wunderbar geborgen und mit dem Spruch Wer seinen eigenen Weg gehen will, muss die vertrauten Pfade verlassen ausgestattet habe ich die ersten norwegischen Weihnachten meines Lebens gesund und munter ueber- und durchlebt. Vieles war anders und deshalb gluecklicherweise nicht mit Zuhause zu vergleichen. Die Kirche hat ein wenig gefehlt, die Familie seltsamerweise nicht. Es war soviel da, was mich nicht vergessen lassen konnte, dass es genug Leute gibt, die an mich denken, dass ich keinen Moment hatte, um traurig oder melancholisch zu werden.
Dazu kamen so viele Geschenke von so vielen Menschen wie noch nie, aufregende, neue Eindruecke und das seit einigen Wochen anhaltende Gefuehl, dass Deutschland jetzt das ist, was Norwegen vorher war: Eine ferne Welt, die mich immer wieder beruehrt, in der ich aber nicht lebe. Obwohl mein Leben gefuellt ist von deutscher Post, deutschen Gedanken, deutschen Nachrichten und ganz vielen Menschen, die groesstenteils aus meiner Heimat - Deutschland - kommen. Das ist schwer zu beschreiben, aber ich fuehle mich hier von so vielen Menschen, die ich kenne bedacht und mit guten Gedanken beschenkt. Die meisten die das hier lesen, vielleicht sogar alle gehoeren dazu - und deshalb an dieser Stelle ein grosses Danke!
Doch all das hælt mich nicht davon ab, nach einigen Tiefs mich doch mehr und mehr in Norwegen zuhause zu fuehlen. Endlich sind die ersten Tage vergangen, an denen es nicht ein einziges Wort Englisch gibt. Mein Norwegisch ist holprig und nimmt manchmal Formen an, die sogar mich selbst zum Lachen bringen, aber es macht sich.

Menschen, eine Frage an euch: Wollt ihr eine genaue Ablauf-Beschreibung haben, wie Weihnachten lief? Denn wenn euch das so sehr interessiert, dann schreibe ich das auch. Aber im Moment gehen mir mehr viel mehr Gedanken im Kopf herum, als Erinnerungen an das Essen und wann was getan wurde. Aber wenn ihr das wissen wollt, go ahead!
Vielleicht ist es Eitelkeit, aber ich freue mich doch immer so, wenn ich hoere, dass hier jemand mitliest. WIe viele gibt es wohl, die hier noch nie einen Kommentar hinterlassen haben? Streunen hier auch ein paar Hopees rum, die vielleicht bald selbst weggehen, so wie ich es vor nicht allzulanger Zeit getan habe?

Egal, jetzt mal. Diejenigen, die schon im August dabei waren, erinnern sich vielleicht noch an mein Abschiedsbild. Zur Erinnerung:


Das war im Sommer, ja. Und weil es nicht nur schon ueber 4 Monate her ist, dass ich in diese kleine Fotobox gestiegen bin, gibt es hier jetzt ein Bild von mir an Heilig Abend...


Fotos sind immer nur eine Momentaufnahme und eigentlich ist es ja auch nicht wichtig, aber vielleicht fragt ihr euch, ob es irgendeinen Unterschied gibt. Ich seh keinen grossen, aber wer weiss schon?
Und das man sich an sich ändert, nicht nur, aber sicherlich besonders in einem Austausch ist wohl unbezweifelt. Manchmal frage ich mich, wie ihr mich wahrnehmen werdet, wenn ihr mich wiederseht. Keiner von uns ist bei den Vorstellungen vom August 2006 stehen geblieben, wir haben sicher alle einander in Gedanken neues gegeben, Wahres und Unwahres. Die Distanz mag Fantasien ueber die anderen schaffen, aber sie kann einem auch Dinge an Menschen bewusst machen, die einem vorher nicht klar waren. Sie bringt næher und entfernt, aber nichts bleibt wie es war. Nichts war wie es ist. Und eigentlich war ja auch nichts, alles ist in einem ewigen Prozess des Sich-Verænderns und weiter entwickelns. Wir sind in der næchsten Sekunde nicht, was wir vorher waren - wie koennen wir es dann nach 4, 6 oder 10 Monaten sein? Ich glaube an wenig Ewiges, aber dass die Zeit einmal stoppt zu laufen, das kann mein Kopf nicht fassen. Warum sollte er auch? Ist doch eigentlich ganz wunderbar, dass wir uns alle ein wenig weiter, ein wenig anders wiedersehen. Wenn wir uns nicht verændern, wofuer tun wir dann Dinge?

Saskia hat geschrieben, zu dem letzten Gedicht: ich muss feststellen dass du immer so filosofisch auf deiner seite bist. Ich fange an, mehr und mehr Dinge aufzuschreiben, hier. Ich will all die Sachen, die mir durch den Kopf gehen nicht einfach wieder ins Universum lassen ohne sie richtig gewuerdigt zu haben, ihnen ein bisschen Gedanken-Zeit geschenkt zu haben. Das passiert ehrlich gesagt gar nicht so viel hier auf der Seite, sondern mehr in meinen Tagebuechern =)
Aber das Dumme ist, dass man, je mehr man darueber nachdenkt, je mehr man sich alldem widmet sich unwissender und unwissender vorkommt. Und die ganze Welt scheint ein einziges riesiges, zu erdenkendes und doch nicht erfassbares Chaos, das einfach nicht in Isabel Iracemas Kopf zu passen scheint, scheisse. Lohnt es sich trotzdem, immer weiter zu denken, zu fragen?
Jedenfalls lerne ich hier besser und besser erst zu fragen und dann zu antworten, zu urteilen. An Menschen regt mich weniger schnell auf, nur vorschnelles Urteilen erscheint mir duemmer und duemmer... Woher nehmen sich die Menschen die Rechte, ueber andere zu richten? Wære es moeglich, mit Fragen alles auf den rechten Weg zu bringen? Mit selbststændigen, und doch gemeinsam gefundenen Erkenntnissen? Dem Menschen nicht zu sagen das und das ist richtig oder falsch, sondern ihn zu Fragen und ihn damit zu Ergebnissen kommen zu lassen, die auf seiner Vernunft, seinem Gefuehl und einfach seinem Mensch-Sein begruendet sind? Die nicht immer mit denen des Fragenden uebereinstimmen, aber trotzdem ihre Richtigkeit haben?
Wenn ja, warum gelingt es und nicht, immer so zu handeln? Warum urteilen wir zuerst und nehmen uns dann erst manchmal die Kraft zu fragen?

Ich werde jetzt aber auch mal Schluss machen... Fuehlt euch frei zu antworten, die Fragen waren keine rein rhetorischen!
Ob mit Nachdenken gefuellt oder nicht, ich wuensche euch eine ganz, ganz wunderbare Zeit zwischen den Jahren - und einen ebenso tollen Start in das neue, das Jahr in dem fuer mich definitiv eine neue Zeit anbricht. Nicht direkt, aber langsam fange ich mir doch an Gedanken ueber das Leben nach der Rueckkehr zu machen. Ohne Træume und Plæne wæhre alles nicht halb so schøn - oder?

Gruss und Kuss aus dem Oslofjord,
Isabel Iracema

Montag, Dezember 18, 2006

Stufen

STUFEN

(von Hermann Hesse)
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht,blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Sonntag, Dezember 17, 2006

Jenny-Marie und das Ende der Welt


Dieses Wochenende habe ich wirklich das Ende der Welt gesehen. Alles was ich dafuer tun musste, war die wunderbare Jenny in Tønsberg zu besuchen und dann den Bus zu nehmen, der in Verdens Ende -Welt Ende- endet. Da angekommen erwartete uns einer der wunderbarsten Platze, die ich hier im schoenen Norwegen entdeckt habe. Nachdem wir ueber einige der Felsen, die man da im Bild sieht, geklettert sind, standen wir auf einem dicken Buckel. Der Wind blies uns fast um, aber unsere grossen Fuesse waren doch noch fest genug auf der Erde verankert um nicht abzuheben.
Ich kann euch gar nicht beschreiben, wie fantastisch es da war! Ein Platz, an dem einem tausend Musiken, tausend Zitate aus Buechern in den Kopf kommen, die doch alle nicht genuegen um so etwas zu beschreiben. Auch die Fotos scheinen nichts davon zu fassen, in ihnen ist die Wildheit und die Kraft verloren gegangen (trotzdem gibt es wieder einige neue Bilder unter Meine Fotos aus Norwegen). Ihr muesst es euch einfach mal selbst anschauen, live.

Auch sonst war das Wochenende in Tønsberg ganz unglaublich schoen. Mit Tee, Weihnachtsplætzchen, ganz viel Reden, wenig schlafen und einem kleinen Stueckchen Weihnachtsoratorium. Warum hoeren die Norweger das eigentlich nicht?

Hm, mir gingen die ganze Zeit so viele Gedanken durch den Kopf und ich wollte auch hier so viele Sachen schreiben, aber alles scheint wie weg gepustet. Ich bin zwar schon um fuenf Uhr wieder hier in Nesoddtangen angekommen, aber dann war erst Pepperkake-Backen mit Andrea, Maja, Simon und Ida und dann gab es Middag. Und so sitze ich jetzt hier, es ist schon spæt, ich muss mich aber noch auf eine Matheklausur morgen vorbereiten und ich bin so muede. Morgen endlich kommt mein Gastvater aus Australien zurueck...

Achja, ein ganz grosses DANKE, hier sind schon massig Weihnachtbriefe und Pæckchen angekommen. Ich bin gar nicht so schnell wie ihr! So oder so einen schoenen dritten Advent und einen guten Start in eine letzte Vorweihnachtswoche wuensche ich euch. Good Night

and good luck. Isabel Iracema


Sonntag, Dezember 10, 2006

Gegen Verwaisung


Foto: Linda Næsfeldt/Nobels Fredssenter: http://www.nobelpeacecenter.org/?did=9073569

Ja, mich erreichte eine besorgte eMail, mein Blog wuerde verwaisen. Aber nein, falls ihr eifrig Kommentare schreibt gibt es doch immer was neues! Nein, natuerlich bin ich es, die hier schreiben muss. Sorry... :-)

Also, dann wollen wir mal anfangen. Am, besten mit dem Bild da rechts. Ich weiss nicht wer von euch von ihm gehört hat, aber der Herr im blauen Hemd ist Muhammad Yunus, der diesjährige Friedensnobelpreisgewinner. Und wo wird dieser tolle Preis, den man wohl als einen der wichtigsten der Welt ansehen kann, vergeben? Richtig, in Oslo. Heute. Also wird ueberall ein wenig Brimborium gemacht, aber bis jetzt habe ich noch nicht so besonders viel davon mitbekommen. Jedoch geht heute Abend ein Fackelzug vom Jernbanetorget zum Grand Hotel und weil man nur einmal Austauschschuelerin im Oslofjord ist werde ich dafür sogar die Mini-Familienparty sausen lassen und daran teilnehmen. Oder zuschauen, oder wie auch immer. In der "Reichskristallnacht", am 9. November sass ich næmlich auch Abends vor dem Fernseher und sah, dass in Oslo, vor dem Stortinget (sozusagen der norwegische Reichstag, heisst lustigerweise uebersetzt "Das grosse Ding") eine Mahnwache mit Fackeln war. Mann, was habe ich mich da geärgert, dass ich nicht dabei war!
Morgen ist dann das grosse Nobelkonzert im Oslo Spektrum (www.oslospektrum.no), von dem ich aber erst viel zu spät was mitbekommen habe und dessen Karten so um die 100€ kosten. Ich werde heute abend jedenfalls endlich mal wieder Fotos machen. Falls meine Batterien nicht wieder den Geist aufgeben, die sind irgendwie kaputt.

In jener Mail und auch in einem Kommentar von der lieben Jana kam die Frage nach norwegischen Weihnachten/Advent. Erst einmal gibt es keinen Adventskranz, aber einen Kerzenhalter mit vier Kerzen. Ob das norwegenweit ist weiss ich nicht, aber mir wurde ausser dem gänzlichen Fehlen von soetwas noch nichts anderes zugetragen. Ich habe ganze stolze vier Adventskalender: Einen Wernauer-Adventskalender, zugeschickt von Mama, mit tollen Texten jeden Tag. Eine Postkarte mit wunderschönen kleinen, lustigen Aquarellbildchen. Einen Disneyschokoladenkalender (deutsch!) von meiner Gastmutter und ueber den Kamin hängt einer, in dem Andrea und ich jeden Tag ein kleines Geschenk bekommen. Weil meine Gastmutter ja bis Freitag im Krankenhaus war hat der erst so spæt angefangen, dass wir uns nicht abwechseln muessen, sondern jede jeden Tag etwas bekommt. Ja, ich bin verwöhnt hier!
Den Weihnachtsschmuck finde ich im schoenen Norwegen nicht nur erträglich, sondern fast schon geschmackvoller als in Deutschland. Bis jetzt sind mir noch keine leuchtenden Rentiere, blinkenden Weihnachtsmænner oder komplett bestrahlten Häuser begegnet. Jedoch muss man wissen, dass Norweger die Eigenschaft haben immer und ueberall das Licht brennen zu lassen. Mich nervt es in den Nächten fast, aber das ist schliesslich auch der Grund weshalb ich dast jeden Abend die Osloer Bucht mit einem glitzernden Diamantencollier um mich herum vergleiche. Wunderschön, von weitem!
Trotzdem sollten die sich hier ein bisschen reduzieren, denn es läuft im Moment darauf hinaus, dass Norwegen, ein Land ohne Atomkraftwerke (gerade mal zwei Forschungsreaktoren haben sie!), solche jetzt bauen muss, da wegen Strommangel Energie importiert wird.
Hier ist es eine alte Tradition, die aber in nicht so sehr vielen Familien fortgesetzt wird, dass man in der Vorweihnachtszeit ganz viele Kuchen backt, die aber dann erst an Weihnachten selbst isst. Und so wurde auch der wahrscheinlich fantastische Christstollen, den mir meine Oma geschickt hat wieder in den Schrank oder Keller verbannt.
Gestern war ein YFU-Vorweihnachts-Treffen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein Pfefferkuchenhaus gebacken, massig Grøt (so etwa "Milchreis") gegessen und vor allem mal wieder mit ganz vielen anderen Austauschschuelern geredet habe. Schøn und suess!

Ich muss mich jetzt aber mal wieder Englisch zuwenden, den in der kommenden Woche wird bei uns die Weihnachtsexamen-Zeit eingeläutet...

Ich hoffe euch geht es wunderbar, geniesst den zweiten Advent!
Ganz viele Gruesse vom unglaublich nebligen Vardenbakken,

Isabel Iracema